Auf der ersten Etappe des Annapurna Circuit nach Bahundanda
Jana fühlt sich nach wie vor schlapp, also setzen wir unseren Plan um: Sie fährt mit dem Bus die erste Etappe, ich mache mich alleine zu Fuß auf den Weg. Der Beginn der Tour gibt einen guten Vorgeschmack: Vor mir liegen kleine, aus Stein gebaute Dörfer, in denen die Zeit stillsteht. Frauen waschen in großen Blechschüsseln ihre Wäsche am Straßenrand. Bunt gekleidete Menschen arbeiten auf den Maisfeldern, Yaks werden im Fluss abgebürstet, Hunde schlafen in der Sonne. Kinder rennen an mit vorbei uns rufen „Namasté“ oder „Where are you going?“. Der Weg verläuft rechtsseitig entlang des Flusses Marsyangdi Nadi, ab und an gewinnt der Pfad an Steilheit. Kurz hinter Bhangbi verwandelt sich der idyllische Wanderweg in eine staubige Fahrstraße. Das Etappenziel für heute ist Bahundanda, als reine Gehzeit werden ca. fünfeinhalb Stunden angegeben.
Samstag, 19.04.2014: Erste Etappe des Annapurna Circuit. Von Besisahar nach Bahundanda (5,5 Std.)
Ich laufe über Baustellen. LKW brettern an mir vorbei, Staub wirbelt auf. Mein rechter Fuß schmerzt, die erste Blase kündigt sich an. Ein Bauarbeiter fragt, ob ich eine Lampe dabei habe. Ich dachte, er möchte sichergehen, dass ich bei Einbruch der Dunkelheit auf dem Annapurna Circuit gut ausgerüstet bin, doch ein paar Meter weiter wird mir alles klar: Der Weg führt durch einen unbeleuchteten Tunnel. Baufahrzeuge fahren hindurch, es ist matschig und stockdunkel. Ein paar Nepalis stapfen vor mir her. Ich bin froh, als es wieder hell wird. Der Weg zieht sich in Richtung Nadi Bazar. Links neben mir fließt der Fluss. Ich stapfe auf einer halbfertigen Straße den Berg hinauf. Das Tal unter mir ist schmal und bewaldet. Dunst klebt an den Bergriesen, der mir die Sicht auf die selbigen verwehrt. Nach wenigen Kilometern treffe ich auf eine Nepalesin mittleren Alters. Sie schaufelt Zement in einen Sack, wirft ihn auf den Rücken und befestigt ihn mit einem Seil an ihrer Stirn. Die Frau ist klein und zierlich, der Sack wiegt mindestens 30 Kilo. Ich laufe neben ihr her und biete meine Hilfe an, die sie lachend ablehnt. In Ngadi lädt sie mich zu sich nach Hause ein und serviert mir ein Curry, dazu eine Cola aus der Dose. Nach dem Essen zeige ich ihr auf der Karte, wo ich langlaufe. In Manang war sie schon mal. Ich genieße es, eine kurze Pause einzulegen und etwas zu essen. Sie fragt mich, ob ich 50 Rupien für sie habe. Ich gebe ihr das Geld. Der breite Weg geht in einen schmalen Pfad über und schlängelt sich bergauf am Hang entlang. Ich laufe über eine Hängebrücke. Sie wird nicht nur als Fußgängerüberweg, sondern auch als Wäscheständer benutzt. Bunte Fähnchen aus Plastiktüten flattern knisternd im Wind. Der Schweiß rinnt mir den Rücken hinunter, so heiß ist es. Im steilen Gelände kommt mir ein Schulbus entgegen.
Ein Junge rennt vor ihm her und befreit die Straße von größeren Steinen. Zwei Leute tragen ein mannshohes Bündel Maispflanzen auf dem Rücken. Ein alter Mann sitzt an der Böschung, genießt den Blick auf die Maisterrassen und murmelt vor sich hin. Frohen Mutes laufe ich stetig bergauf nach Bahundanda. Der Weg ist hervorragend ausgeschildert, an jeder Abzweigung steht ein Schild mit der Aufschrift „Manang“. Bahundanda erstreckt sich über mehrere Kilometer. Ich denke an dieser Stelle, ich hätte es geschafft, doch der Weg windet sich noch eine halbe Stunde steil bergauf. In der Ortsmitte strömt mir der Geruch von Verbranntem entgegen. Haushoher Bambus steht in Flammen, die Stämme haben in etwa den Umfang meiner Oberschenkel. In Bahundanda erreiche ich den ersten Checkpoint.
Ein uniformierter Mann vermerkt in seinem Buch, dass ich hier bin. Ich habe das Ziel der ersten Etappe des Annapurna Circuit erreicht. Im Mountain View Hotel genieße ich eine Dusche, esse zum zweiten Mal Reis mit Curry und sitze mit dem Hotelbesitzer und zwei alten Frauen auf der Terrasse mit einem großartigen Blick auf die Berge und die umliegenden Dörfer. Die Steinhäuser sind mit Stroh- oder Blechdächern gedeckt. Die beiden Frauen sprechen kein Englisch, versuchen aber, sich mit mir zu unterhalten. Eine der beiden hat bereits vor 40 Jahren hier gewohnt. „Seitdem habe sich viel verändert“, dolmetscht ihr Mann. Damals verirrten sich keine Touristen hierher. Auch dort, wo sie jetzt lebt, an der Grenze zu Indien, sieht sie kaum welche.
Die Frauen lachen mich an. Sie haben faltige Gesichter und ein strahlendes Lächeln mit wenigen, dafür tadellos weißen Zähnen. Es donnert und stürmt, wenig später fängt es an zu regnen. Jana ist immer noch nicht da, dabei hätte sie der Jeep wesentlich schneller hierherbringen sollen, als ich es zu Fuß schaffe. Ihr Handy ist aus. Gegen neun Uhr abends fällt sie bei völliger Dunkelheit entkräftet auf der Terrasse ein. Sie ist mit einem Bus nach Ngadi gefahren, was doppelt so lang dauerte, als sie dachte. In Ngadi hat sie einen Bauarbeiter kennen gelernt, der sie nach Buhundanda bringen wollte. Allerdings zu Fuß und so schleppte sie sich fiebrig mit Gepäck stundenlang hierher.